Kategorien: News

Skigebiet als Drehscheibe des Coronavirus in Europa

In Europa sollen viele Corona-Infektionen auf den österreichischen Ort Ischgl zurückzuverfolgen sein. Auch als die ersten Warnungen aus anderen Ländern kamen, ging der Skispaß in dem Ort noch acht Tage weiter.

Mittlerweile hat das Coronavirus eine eigene E-Mail-Adresse: ischgl@ostalbkreis.de. Eingerichtet wurde diese im Kreishaus in Aalen für rund 200 Menschen, die in Ischgl waren und möglicherweise das Virus mitgebracht haben. Aus gutem Grund heraus sind die Behörden besorgt. Zahlreiche Krankheitsfälle in Deutschland lassen sich auf Urlauber zurückverfolgen, die in der Region Ischgl im Urlaub waren. Doch es hätte nicht soweit kommen müssen.

Die Behörden in Island ahnten nicht, was sie an Bord der Icelandair-Maschine aus München entdecken werden. Dies hätte die Verbreitung des Coronavirus in Europa verlangsamen können. Island war bei ein Coronanest gestoßen, für das sich auch Norwegen und Dänemark bald interessierten. Nur Österreich wollte davon nichts wissen und in Deutschland liefen die Informationen nicht öffentlich zusammen. Nicht nur das an Bord der Maschine ein Italienrückkehrer war, dessen Corona-Test am 1. März positiv ausgefallen war, auch eine 14-köpfige Reisegruppe brachte das Virus aus Ischgl heim. Daraus zieht Island Konsequenzen und erklärt das Skigebiet zum Risikogebiet wir der Iran und auch das chinesische Wuhan. Wer aus Ischgl zurückkehrt, soll die Behörden informieren und sich in 14-tägige Quarantäne begeben.

Aus Österreich kommt nach bisherigen Erkenntnissen ein fatal falsches Signal. Es erscheine „aus medizinischer Sicht wenig wahrscheinlich, dass es in Tirol zu Ansteckungen gekommen ist.“ Dies teilte Landessanitätsdirektor Franz Katzgraber per Mitteilung mit. Die Urlauber hätten sich bei dem Italienrückkehrer an Bord der Maschine angesteckt. Somit geht der Ski-Spaß normal weiter.

Fast jeder zweite kranke Norweger war in Tirol

Erst am 14. März werden Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Innenminister Karl Nehammer das volle Ausmaß benennen: Sie “rufen alle Personen, die sich seit 28. Februar 2020 in den betroffenen Regionen Paznauntal, St. Anton am Arlberg und Heiligenblut aufgehalten haben, dringend auf, sich in häusliche Selbstisolation zu begeben.” Das deutsche Robert Koch-Institut stuft seit dem 13. März Tirol als Risikogebiet ein. Andere Länder reagieren schneller auf die Erkenntnisse. Bereits am 7. März werden in Norwegen Ischgl-Rückkehrer zum Test gebeten, einige fallen positiv aus. In Norwegen sind von 1198 positiv getesteten Personen 491, die das Virus aus dem Alpenland haben. Die meisten aus dem Paznauntal. Das vermittelt nun eine Idee über das Ausmaß der Verbreitung: In Tirol stellen die Norweger eine viel kleinere Gruppe dar als die Deutschen.

Österreichische Behörden redeten Risiko klein

Erst am Abend des 7. März gibt es den ersten offiziell bestätigten Fall in Ischgl. Ein Mitarbeiter im Kitzloch ist positiv getestet worden. Heute beklagt der Inhaber Bernhard Zangerl, dass sein Betrieb am Pranger steht: “Unsere Mitarbeiter mussten auch von jemandem angesteckt werden, sie sind ja während der Saison zum Großteil nur hier.” In einer Pressemitteilung aus der Landessanitätsdirektion Tirol heißt es dazu, dass eine Übertragung auf die Gäste der Bar “aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich“ sei. Allerdings könnten sich Besucher der Bar an eine Gesundheitshotline wenden. Das schreibt auch das Land in einem Posting auf Facebook. Allerdings kommen auch kritische Fragen auf. “Müsste man nicht auch diese Infos an andere Länder weitergeben? Gibt es weitere Infizierte unter den Kollegen des Barmannes? Ich denke, die Besucher dieser Bar in dem betreffenden Zeitraum sollten informiert werden, wenn auch eine Ansteckung ‘eher unwahrscheinlich’ ist”, schreibt ein Deutscher als Frage unter den Post. Nur einen Tag später kommt heraus, dass 15 weitere Menschen aus dem Umfeld des Kitzloch-Mitarbeiters erkrankt sind. Tirol ändert seine Sichtweise, es könne “nicht ausgeschlossen werden, dass es eine Verbindung zu einem Teil der in Island positiv getesteten Personen gibt”. Mittlerweile hat auch Dänemark die Region zum Risikogebiet erklärt.

Mittlerweile hat die Landesregierung in Tirol eine Verordnung erlassen, dass alle Après-Ski-Lokale im Skigebiet bis auf Weiteres geschlossen bleiben müssen. Inzwischen wird das Ausmaß auch in Dänemark immer größer. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen gibt auf einer Pressekonferenz bekannt, dass von 156 Infizierten in Dänemark 60 die Krankheit aus dem Skigebiet mitgebracht haben. Mittlerweile hat sich diese Zahl auf 139 erhöht. Die Gesundheitsexperten in Dänemark haben angesichts der Fälle in Österreich nachgefragt, aber keine Antworten erhalten. Die nordeuropäischen Staaten haben somit die Misere in Österreich aufgedeckt.

Hamburg forderte Risikoeinstufung

Mittlerweile häufen sich auch in Deutschland die Meldungen von Erkrankten aus dem Paznauntal. Am 12. März werden Feuerwehrleute im Ostalbkreis eingesetzt, um 200 Skiurlaubern hinterherzutelefonieren und richtet die Mail-Adresse ischgl@ostalbkreis.de ein. Im Kreis werden früher als woanders die Schulen geschlossen, da hier eine Fülle von möglichen Erkrankungen besteht. Hamburg weist auf eine Menge Rückkehrer aus dem Skigebiet hin und bittet dringend um Prüfung, ob die Region als Risikogebiet eingestuft werden muss”. Diese Entscheidung wird vom Robert-Koch-Institut am 13. März gefällt.
Ärztin: “Wir mussten lernen, das Problem zu erkennen”

Tirols Landeshauptmann Günther Platter weist Vorwürfe entschieden zurück. Aus seiner Sicht habe man rasch reagiert, anders als in der Lombardei. Zwar bringe die vorzeitige Schließung enorme wirtschaftliche Folgen, aber die Gesundheit aller gehe vor. “Es wäre ein riesiger Schaden, wenn man das so lax nehmen würde, jetzt lassen wir noch ein paar Tage die Gäste kommen, und dann werden sie infiziert”, sagte er auf einer Pressekonferenz. Und auch Cornelia Lass-Flörl, Direktorin der Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie und Medizinerin, wollte “gar nicht damit anfangen, ob man jetzt zu spät war. Wichtig ist, dass man das Problem erkannt hat.” Allerdings räumte sie ein: “Wir mussten lernen, die Fälle nachzuverfolgen, dem Ganzen nachzugehen und dann letztendlich erkennen, vielleicht haben wir an manchen Stellen ein Problem.”

Social
Author
Jerry Heiniken