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Verzweifelung im Corona-Epizentrum in Bergamo

In der Corona-Krise ist Italien das mit Abstand am schwersten betroffene Land. Alle 30 Minuten gibt es in der norditalienischen Stadt Bergamo derzeit eine Beerdigung.

Militärkolonnen beherrschen seit dem Donnerstag das Bild in der nordlombardischen Stadt. Jedoch wird hier nicht die Ausgangssperre kontrolliert, es werden massenhaft Särge abtransportiert. In der Stadt mit seinen 120.000 Einwohnern sterben mehr Menschen an der Erkrankung als sonst irgendwo in Italien. Es sind mittlerweile so viele, dass alle 30 Minuten eine Beerdigung stattfindet.

44 Tote zählte die Stadt allein am Dienstag, Montag starben sogar 60. Insgesamt forderte die Epidemie bislang 553 Opfer allein in dieser Provinz. Wie der „Corriere della Sera“ aus Mailand berichtet, erlöschen die Feuer in den Krematorien seit Tagen nicht mehr. Und die Friedhöfe in der Stadt sind inzwischen auch schon heillos überfüllt, die Särge stapeln sich in den Krematorien. Daher unterstützt das Militär und transportiert die Toten nach Bologna und Modena. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag waren es 65, die gleiche Anzahl wartet noch auf den Abtransport.

Bergamos Bürgermeister ist inzwischen hochgradig besorgt

Wegen der totalen Überlastung der Krankenhäuser haben die italienischen Gebirgsjäger damit begonnen, auf dem Messegelände ein Feldlazarett mit 300 Betten zu errichten. Allerdings sind derzeit die Arbeiten gestoppt, da unklar ist, ob überhaupt ausreichend Ärzte vorhanden sind, die dort arbeiten können.

Der Bürgermeister der Stadt, Giorgio Goti ist daher extrem beunruhigt. Der „Corriere“ zitiert ihn mit den Worten: „Das ist ein besorgniserregendes Zeichen der Unsicherheit und Verwirrung der Organisation dieses Notfalls, der klare Ideen und sichere Entscheidungen erfordert.“ Und weiter: „Ich hoffe aber, dass es nur ein vorübergehender Stopp ist.“ Andernfalls hätte es erst gar nicht errichtet werden dürfen, wenn vorab klar gewesen wäre, dass das Ärztepersonal für einen Betrieb des Lazaretts nicht vorhanden ist.

“Ohne Schutzkleidung gehen wir selbst zum Schlachthof”

In den italienischen Medien wird auch über die dramatischen Schilderungen über den Zustand der ärztlichen Versorgung berichtet. Diese steht bei mehr als 4.300 Infizierten in der Provinz Bergamo offenbar kurz vor dem Kollaps. Alle Intensivbetten sind belegt, Hausärzte kämpfen mittlerweile an der vordersten Front, allerdings ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen und sanitäre Einrichtungen. „Jeden Tag gehen wir zur Arbeit und riskieren unser Leben“, zitiert „Il Fatto Quotidiano“ einen betroffenen Arzt in Bergamo. „Obwohl wir das wissen, kommt irgendwann wieder ein Anruf, irgendjemand, der dich um Hilfe fragt. ‚Nein‘ zu sagen ist unmöglich. Wir gehen trotzdem. Aber ohne Schutzanzüge und ohne Schutzmasken gehen wir selbst zum Schlachthof.“

200 Hilferufe für Arzt, der selbst an dem Virus erkrankt ist

Die Zahl der erkrankten Mediziner zeigt die katastrophale Lage in der Provinz: von 600 Ärzten sind inzwischen 118 an dem Virus erkrankt und befänden sich in Quarantäne. An dem Virus sind auch schon zwei Mediziner verstorben. „Ich bin eine Woche lang im Bett mit hohem Fieber geblieben, das einfach nicht sinken wollte. Jetzt geht es mir besser, ein paar Tage noch, dann kehre ich zurück zur Arbeit. Die Situation ist dramatisch. Ich bekommen jeden Tag 200 Anrufe“, sagte ein betroffener Arzt.

Star-Komiker fordert Stopp für Balkon-Gesänge

Einer der bekanntesten Entertainer und TV-Showmaster in Italien, Beppe Fiorello, bietet unterdessen seine Landsleute, mit dem Singen und Musizieren auf den Balkonen aufzuhören. Auf Twitter schreibt er dazu: „Militärlastwagen, die Särge aus Bergamo zu anderen Krematorien bringen, und noch immer singt man auf den Balkonen, macht humorvolle Sprüche über diese epochale Tragödie, feiert Happenings in den sozialen Netzwerken. Das, was wir hingegen jetzt brauchen, wäre eine dreitägige nationale Trauer, die die Toten und deren Angehörige respektiert, gern in den sozialen Medien, aber ohne zu feiern.“

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Alexander Grünstedt